Manual III für Alle !

Die folgenden Ausführungen beruhen auf einem Vortrag, gehalten beim Akkordeon Symposium 2010 in Innsbruck: "Symbiose von U und E als Zukunftsstrategie"

Vorwort

Die Trennung zwischen sogenannter U- und E-Musik mag in kompositorischer Hinsicht Sinn machen, auch schafft sie zuweilen Klarheit in inhaltlichen Diskussionen. In meiner Berufspraxis als Akkordeonist und Lehrer möchte ich keinen Bereich ausschließen, gerade in der Didaktik kann man von beiden in unterschiedlicher Weise profitieren.

Geschichte

Die U-Musik war in der Vergangenheit für das Akkordeon der einzige Inhalt und spielt auch heute noch eine große Rolle, insbesondere was das Image des Instrumentes betrifft. Die E-Musik war der Türöffner für die professionelle Ausbildung an Konservatorien, Hochschulen und Universitäten und bleibt deren essentieller Inhalt, sie war und ist der Motor für eine enorme Entwicklung hinsichtlich Spieltechnik und Literatur, nicht zuletzt Statussymbol. Nach dem quasi revolutionären Fortschritt der letzten 50 Jahre wäre es meiner Meinung nach an der Zeit, sich mit der Vergangenheit zu 'versöhnen' und das wieder aufzugreifen, was im 21.Jahrhundert Sinn macht. Beim Akkordeon besteht - anders als bei den klassischen, etablierten Instrumenten - wohl noch Bedarf nach Verteidigung seiner neu eroberten Stellung, ich würde das allerdings mit mehr Gelassenheit tun. Komponisten wie Mauricio Kagel oder Luciano Berio haben sich für das Akkordeon als "Zwitterwesen" interessiert und ihre Kompositionen (Variété, Episoden Figuren, Sequenza XIII) auch in diesen Zusammenhang gestellt.

Qualitäten von U und E

Die Qualitäten der E-Musik liegen in ihrer Komplexität hinsichtlich Tempo, Agogik, Dynamik, Begleitung, Harmonik, Form, unterschiedlicher Interpretationsansätze, musikhistorischer Bezüge und einem hohen instrumentalen Standard. Die Qualitäten der U-Musik liegen in den Bereichen des freien Spiels, der Spontaneität, der Funktionalität, der Kommunikation mit dem Publikum, des Arrangements, der betonten Körperlichkeit und der Volksmusik als regional gebundenem Fundament. Diese sytematischen Aufzählungen existieren in der Realität nicht als Reinformen, für mich sind es deutliche Tendenzen.

Aufgaben

Um eine Symbiose zwischen U- und E-Musik zu erreichen, genügt es nicht, einfach Stücke aus den unterschiedlichen Bereichen zu mischen, es bedarf der Bearbeitung einiger Aufgaben: Neue Spieltechniken und hohe Spielkultur sollen in beiden Bereichen vermittelt werden, die Komplexitäten der E-Musik müssen auch weiterhin didaktisch bearbeitet, U-Musik auch in historische und musiktheoretische Zusammenhänge gestellt werden. U-Musik sollte für Melodiebaß arrangiert und komponiert, Kompositionsaufträge im Bereich des Cross-over vergeben werden, Improvisation in allen Formen stattfinden und nicht zuletzt muß auch die Lehrerausbildung eine Professionalisierung in allen Bereichen sicherstellen.

Manual III für Alle!

Nach der Klarstellung der Inhalte kommt man irgendwann zur Gretchen-Frage nach dem Intrumententyp. Für mich bietet ein Akkordeon mit Manual III hinsichtlich Ausbildung verschiedener Koordinationen, Gesamtklang, Erweiterung der Harmonik, differenzierter Begleitformen, Qualität der Literatur, Hörbildung und Wahlfreiheit bezüglich zukünftiger Ausbildungswege eindeutige Vorteile. Einiges kann man auch mit dem Standardbaß erreichen, sofern man sich von traditionellen diadaktischen Wegen löst, allerdings bleibt das klangliche Ergebnis meist unbefriedigend und die Möglichkeiten sind limitiert. Aus diesem Grund ist für mich ein Instrument mit Manual III ideal für den Anfänger (6. - 8. Lebensjahr), ein späterer Umstieg vom Standardbaß auf Manual III ist meist sehr mühsam, der Anschluß an die Spitze kaum noch zu erreichen. Beim Wechsel auf ein größeres Instrument (11. - 13. Lebensjahr) ist die Wahl des Instrumententyps wieder Thema (Standardbaß, Manual III oder Converter). Den Standardbaß kann man dann innerhalb von 3 - 4 Monaten erlernen. Die Sortierung der Schüler nach "Begabten", für die das Manual III gewählt wird oder die irgendwann umsteigen dürfen, und den "Anderen", die Standardbaß spielen müssen, halte ich für diskriminierend und einen pädagogischen Ohnmachtsanfall. Jedem Schüler sollen von Anfang an alle Türen offen stehen, so hat er die Möglichkeit, seinen eigenen Weg zu finden.

Wettbewerbe

Damit im Bereich der Didaktik für Manual III auch was weitergeht, plädiere ich gegen getrennte Kategorien bei Wettbewerben, beim österreichischen Jugendwettbewerb "Prima La Musica" hat das von Anfang an funktioniert. Es ist höchste Zeit, daß man sich beweist, der Artenschutz für Manual III muß aufgehoben werden. Zukunft hat ein System nur, wenn es besser ist als die "Konkurrenz".

Schülerzahlen

Den seit vielen Jahren/Jahrzehnten sinkenden Schülerzahlen begegnet man allerorten mit Seminaren, auf denen Werbemaßnahmen vermittelt werden, Strategien, wie man mehr Schüler "rekrutieren" könnte. Das mag hilfreich sein, beantwortet aber nicht die Kernfrage nach den Gründen für den Rückgang. Die Verweis auf Moderscheinungen mag seine Berechtigung haben: der Swing der 50er Jahre und die Oberkrainer der 70er und 80er Jahre funktionieren kaum noch als Anreiz, für die Volksmusik eignen sich die diatonischen Instrumente mehr. Dabei ist aber gerade die offensichtlich große Abhängigkeit von derlei Moden ein klares Indiz dafür, daß es bisher nicht gelungen ist, eine die Zeiten überdauernde qualitätsvolle Literatur zu schaffen, dem Akkordeon einen unverzichtbaren Platz im Muskleben zu sichern. Ich behaupte auch, daß unsere Didaktik nicht mit den Entwicklungen bei den anderen Instrumenten mithalten konnte, vieles ist im Akkordeonbereich noch von Laien dominiert, den professionell ausgebildeten Akkordeonisten gibt es ja auch noch nicht allzu lange, und manchmal findet auch er nicht die richtigen Antworten und Visionen hinsichtlich der aktuellen Situation. Meine Antwort: siehe oben.

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